Eine Pilgerreise auf dem Camino Francés - mit Wohnmobil, Roller und Wanderstock

 


Prolog

Der Jakobsweg – was stellte ich mir darunter noch vor wenigen Monaten vor? Pilgerweg nach Santiago de Compostela – sehenswerte Kirchen und Klöster – schöne Landschaften. Das war’s. Ich frage Günther, der schon seit Jahren immer mal wieder vorschlug: Lass uns doch mal den Jakobsweg fahren! Was hat er sich denn darunter vorgestellt? So was wie die Märchenstraße oder die Weinstraße mit dem Ziel Santiago de Compostela, ist seine ehrliche Antwort. 

Und dann lag 2006 das Buch von Hape Kerkeling unter dem Weihnachtsbaum. Mit wachsender Faszination las ich es, konnte es kaum aus der Hand legen. Auch mit Hape Kerkeling war es mir übrigens so gegangen – ich wusste nur wenig von ihm. Spitzenkomiker, berühmt wegen der herrlichen Aktion vor dem Brühler Schloss, als er dort als Königin von Holland antanzte, sympathischer Typ. Mehr nicht. Ehrlich.

Nachdem ich eben mal mit ihm weg war, erscheint er mir vertraut wie ein guter Freund, und der Jakobsweg ging mir nicht mehr aus dem Kopf. So kam es, dass dieser immer wiederkehrende Vorschlag Günthers nun ernsthaft in die Urlaubsplanung einbezogen wurde – mit dem feinen Unterschied, dass der Jakobsweg nun nicht mehr einfach „abgefahren“, sondern zum Teil – soweit es die zur Verfügung stehende Urlaubszeit  möglich machen würde, auch erpilgert werden sollte.

Zusätzliche Literatur musste her und – Günther – Kartenmaterial. Also auf zum größten Buchladen in Bonn. Ja, ist es denn zu fassen, dachte ich, einen ganzen Verkaufstisch gab es da mit Büchern und Wanderkarten vom Jakobsweg. Von den Jakobswegen - Plural! Camino del Norte, Camino francés, Camino Inglés, Camino Catalan… Meine offensichtliche Bildungslücke wurde mir immer peinlicher.

Als Jakobsweg (span. Camino de Santiago) wird der Pilgerweg zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela bezeichnet. Darunter wird in erster Linie der sog. Camino Francés verstanden, jene hochmittelalterliche Hauptverkehrsachse Nordspaniens, die von den Pyrenäen zum Jakobsgrab reicht und dabei die Königsstädte Jaca, Pamplona, Estella, Burgos und León miteinander verbindet. Die Entstehung dieser Route fällt in ihrem auch heute begangenen Verlauf in die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts.

Ein Pilgerführer des 12. Jahrhunderts, der im Liber Sancti Jacobi, der Hauptquelle zur Jakobusverehrung im Hochmittelalter, enthalten ist, nennt für den französischen Raum vier weitere Wege, die sich im Umfeld der Pyrenäen zu einem Strang vereinigen. Nach der Wiederbelebung der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela in den 1970er und 1980er Jahren wurde der spanische Hauptweg 1993 in das UNESCO-Welterbe aufgenommen. 1998 erhielten auch die vier im Liber Sancti Jacobi beschriebenen französischen Wege diesen Titel. Zuvor schon hatte der Europarat im Jahre 1987 die Wege der Jakobspilger in ganz Europa zur europäischen Kulturroute erhoben und ihre Identifizierung empfohlen.

Dann begann die Planung mit Internetrecherchen, bei der ich noch mehr ins Staunen geriet. Was gibt es da für eine riesige Pilgerbewegung - eine Jakobsgesellschaft, die unglaublich rührig ist, Jakobswege aus allen  Himmelsrichtungen, unzählige Homepages, die von Pilgertouren auf dem Jakobsweg berichten, junge und alte Menschen, die als Pilger - oft sogar von zu Hause - nach Santiago de Compostela pilgern!

 Anfang Mai 2007 „stand“ unsere Urlaubsplanung dann, und das Startdatum wurde festgesetzt auf 23. Mai 2007. Dreieinhalb Wochen hatten wir eingeplant, länger konnte Günther beim besten Willen nicht von seinen Bauprojekten weg. Die letzten 150 Kilometer vor Santiago wollten wir erpilgern. Ob wir das schaffen würden, wussten wir nicht (denn wir sind nicht nur „Couchpotatoes“ wie Hape Kerkeling, sondern auch ein Vierteljahrhundert älter), aber wir waren wild entschlossen. 

Am 22. Mai stand unser Womo fertig gepackt vor dem Haus, und wir waren noch hektisch mit den letzten Vorbereitungen der Abreise beschäftigt. Gabi: Haus, Garten, Schwimmbad versorgen, noch mal zu den Gräbern, Mutter besuchen und verabschieden, letzte Einkäufe… - Günther: laufende Bauprojekte so weit versorgen, dass niemandem ein Dach auf den Kopf fällt, Wände einstürzen oder so, und natürlich mit Hinz und Kunz telefonieren unter dem Motto: Ich bin dann mal weg! 

Kurz vor Mitternacht kam Günther dann endlich aus seinem Büro, völlig geschafft, aber endlich urlaubsbereit. Ich hatte gerade noch Kartoffeln gepellt für den obligatorischen Kartoffelsalat, den es immer auf der Fahrt in den Urlaub bei uns gibt. „Jetzt kann der Urlaub beginnen“, verkündet mein Liebster strahlend. Wenig später kehrt Ruhe im Hause Goertz ein; wir holen uns noch eine Mütze Schlaf vor dem Reisebeginn. 

Um 3 Uhr dann ein gellender Schrei in der Dunkelheit der Nacht. Ich schrecke hoch, mache Licht - Günther liegt brüllend vor Schmerz auf dem Boden. Er ist aus dem Bett gefallen – einfach so (ich hab nicht nachgeholfen, ehrlich nicht!). Schnell ist klar, dass er sich den linken Arm gebrochen hat. Er wird noch am selben Tag operiert, liegt einige Tage im Krankenhaus. 

Die Scherzkekse unter unseren Freunden haben Bemerkungen drauf wie: War’s ein Verkehrsunfall? – In unserem Alter, nachts um 3 – im Leben nicht! Sei ehrlich, du hast ihn geschubst! – Täte ich nicht, im Lääve nicht! Ich bin doch ein gutes Kind! Aber es gibt auch ernsthafte Kommentare wie: Eure Pilgerwanderung sollte eben nicht sein. – Ich ergänze still für mich: jedenfalls jetzt noch nicht. Oder: Wer weiß, wofür es gut war? – Ja, das weiß man meistens erst einmal nicht, wenn einem etwas zustößt. 

Schon am Tag nach der OP ist uns beiden jedenfalls klar, unser Plan wird nicht einfach storniert, sondern um ein paar Wochen verschoben. Beim Blick in den Kalender stellen wir fest, dass das gar nicht so einfach ist, weil wir in diesem Jahr so viele (Urlaubs-)Aktivitäten geplant haben. Schließlich steht fest, dass wir zwei Urlaube miteinander verbinden müssen, damit die Pilgerwanderung nicht ausfallen muss. 

So kommt es, dass wir am 4. Juli – wie schon vor Monaten geplant und fest versprochen – erst einmal mit unserem Enkel für eine Woche an den Luganer See fahren und von dort nach Spanien aufbrechen. Susi habe ich einen Billigflug nach Malpensa bei Mailand gebucht, damit sie Moritz abholen kann. Die Pilgerwanderung muss leider etwas verkürzt werden, weil wir nun eine ganze Woche weniger Zeit haben. 

Heiliger Jacobus, ist dir eigentlich klar, was wir für einen Stress haben, um dich zu besuchen? Aber:  

Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg,

 der Jakobsweg!

 


Hier geht's weiter:

  Womo-Pilgerreise auf dem Camino Inglés von Hendaye nach Pamplona und auf dem Camino Francés von Pamplona bis Sarría

Pilgerwanderung von Sarrià bis Santiago de Compostela